Rhytmus, der Gesetzgeber der Puppe.
Erste Eindrucke aus dem BUNRAKUZA, dem Puppentheater von Osaka.

von Maria Piper.

aus Marionnette Vol 2 Nr 3 : 144-146 1931.8.18

Anfänglich ist unsere Aufmerksamkeit dreifach geteilt. Die fremdartige Seltsamkeit des Bühnenvorgangs lässt zunächst noch keinen einheitlichen und somit künstlerisch überzeugenden Eindruck zustandekommen. Denn wir sind Fremde, der alten Joruri-sprache unvertraut und haben oft die Bedeutung der Worte nach der Gefühlsintonation der rezitatoren zu enträtseln. Ferner müssen wir uns der Dramenhandlung erinnern, um den Bühnenvorgängen Sinn beilegen zu können und drittens wollen wir den Puppenführern auf die Finger sehen, um zu erfahrern, wie sie es machen.

Der erste Eindruck ist das bunte Bühnenbild, vor dem drei schwarz verkappte Männer eine präctig gekleidete Puppe führen, leiten und sich in exakter preziser Übereinstimmung mit der Sinngebung des Rezitatoren bewegen lassen. Es will uns so erscheinen, als ob ihre übersteigerte Affektgebung dem unbelebten Wesen auf der bühne in die Glieder fährt und als ob seine Worte aus dem Puppen munde sprechen, sodass sich das Ding dort menschlich geberdet und derartig deredt wird, als ob es sich mit unheimlicher Lebendigkeit angefüllt hätte.

Wenig nur noch währt es, bis die Puppe den Sieg über unsere anfänglich dreigeteilte Aufmerksamkeit davonträgt.

Weil die Handhabung der Puppe dicht vor unsern so einfach und selbstverstinllich vor sich zu gehen scheint, beginnt sie sich in unserer Verstellung von ihren Führern zu emazipieren. Sie degradiert ihre Lebenserwecker und Führer zu belanglosen Schatten, lässt sie allenfalls noch dämonischer Hintergrund sein, vor dem sich ihr kleiner beweglicher Hals höchst eigenwillig dreht und wendet.

Sie hat die Verherrschaft über ihre Helfer und Mitwirkenden angetreter und macht sie zu Dienenden bis auf einen von ihnen.

Und zeigt sich dbei sehr eigenwillig und unbeusgam. Unbeugsam wie der Rhytmus in der harten unerbittlichen Tonfolge der Samisen, dem Begleitinstrument der Rezitatoren.

Sie lässt sich nicht schmeicheln und lecken, nicht sanft überreden, nicht abbrringen von ihrem Vorhaben. Auch tritt hier kein eigenmächtiges Einschalten eines unbeabsichtigten, der momentanen Eingebung folgenden Affektes wie auf der Menschenbühne; unerbittlich und ehera folgt die Puppe dem magischen Geinesetze ihres Bühnenlebens, zu dem sie fatalistisch bestimmt wurde, vom Kunstwillen des Menschen erdacht Und dem sie gehorcht mit jener herrlichen Eindeutigkeit und Unmittelbarkeit in Gestik und Bewegung, wie kein menschlicher Darsteller es fertig brächte : er sei denn ein Schüler der Puppe gewesen und Japanischer Kabuki schauspieler geworden.

Die Handhaber ihrer Bewegungen, die grossen anonymen Diener und gleichzeitige Beherrseher einer herrlichen Kunst haben wir vergessen. Die Schwarzverkappten sind zu Schatten geworden. Die unmaskierten Meisterspnieler in glänzender Staats robe, deren Farbton dem des Puppenkleides angepasst ist, sind durch gemeinsamen Fluss der Bewegung, sei es beim Schreiten oder Tanzen, beim Niedersitzzen oder Aufstehen mit in die Bewegung der Puppe untergetaucht, sind mit ihr in eins verschmolzen und übersehbar geworden durch Mimikry und durch sich selber ausschaltende Hingabe an ihre Puppe. Die Magie der Puppe beherrsaht auch uns jetezt vollkommen.
Die Puppe herrsaht. Auf wessen Geheiss ? Sie scheint keiner Lenkung von aussen zu fllgen. Welcher Impuls ist es, der sie agieren lässt als hätte sie eine Seele und eigenen Willensantribe? Irgendwie musste doch der Faden der Lenkung sichtbar oder deutbar werden, fragen wir, da uns ja durch die Dämonie der Puppe ihre Führer aus dem Sinn gekommen sind.

Jetzt wissen wir es. Es ist der Rhytmus, den der Samisenspieler durch den harten unerbittlichen Ton seines Instrumentes diktiert und dem die Puppe anhaftet, dem sie ihre gestik und die vom Rezitator entliehene gesanglich rhapsodische Sprache anpasst, wie der Musiker sein Spiel dem Taktstock des Dirigenten, dem allein sie gefügig ist und untertan dem RHYTMUS, als dem grössten Gesetzgeber der japanischen Buhne.